Betriebsgefahren bei Kollision im BegegnungsverkehrOrientierungssätze zur Anmerkung 1. Ein Wohnwagengespann mit einer Breite einschließlich Spiegeln von 2,63 m hat gegenüber dem Pkw des Unfallgegners mit einer Breite von 2,11 m eine größere Betriebsgefahr im Falle einer Kollision. 2. Die damit verbundene größere Breite und die daraus resultierende Betriebsgefahr hat sich auch unfallursächlich ausgewirkt, wenn das Wohnwagengespann zwingend über die vor Ort vorhandene Mitte der Fahrbahn hinausgeragt hat und die Kollision nicht passiert wäre, wenn anstatt des Wohnwagengespanns ein Pkw im Begegnungsverkehr gefahren worden wäre. - A.
Problemstellung Das LG Mönchengladbach hatte als Berufungsgericht über die Haftungsquote bei einer Kollision im Begegnungsverkehr bei einem im Detail nicht weiter aufklärbaren Unfallgeschehen zu entscheiden.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Klägerin war mit ihrem Wohnwagengespann mit einem Pkw der Beklagtenseite im Begegnungsverkehr auf einer Landstraße kollidiert. Diese Straße am Unfallort wies eine Breite von 4,81 m bzw. an etwas breiterer Stelle bei 5,03 m auf. Die Klägerin fuhr mit einem Wohnwagengespann, welches einschließlich Spiegel eine Breite von 2,63 m aufgewiesen hat, der Pkw der Beklagtenseite war mit Spiegeln lediglich 2,11 m breit. Welcher der beiden Fahrzeugführer durch ein Lenken in das gegnerische Fahrzeug eine Unfallursache gesetzt hat, konnte auch durch ein Sachverständigengutachten nicht aufgeklärt werden. Bei vorsichtiger Fahrweise hätten die Fahrzeuge jedoch bei den oben genannten Breiten nicht zwingend kollidieren müssen. Fest stand allerdings auch, dass das klägerische Fahrzeuggespann vor Ort aufgrund seiner Breite mit Spiegeln die Gegenfahrbahnhälfte zu mindestens 10 cm mitbenutzten musste. Zugleich hat der vom Gericht beauftragte Sachverständige festgestellt, dass die Fahrzeuge an den Spiegeln mit einer Überdeckung von 10 cm kollidiert sind. Rechnerisch wäre daher, wenn statt des breiten Fahrzeuggespanns mit einem Wohnwagen auf der Klägerseite und 2,63 m Breite ein deutlich schmalerer Pkw mit nicht mehr als 2,20 m üblicher Breite einschließlich Spiegeln gefahren wäre, eine Kollision nicht passiert, da dann immer noch weitere 43 cm „Spielraum“ verblieben wären. In der I. Instanz hatte dessen ungeachtet das Amtsgericht die Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge als gleich hoch gewichtet und den Ansprüchen der Klägerseite i.H.v. 50% stattgegeben. Dies hat das LG Mönchengladbach als Berufungsgericht korrigiert und darauf hingewiesen, dass das klägerische Fahrzeug schon per se aufgrund seiner größeren Breite eine höhere Betriebsgefahr aufweist. Da es zwingend auf der Gegenfahrbahn gefahren sei und die Überlappung bei der Kollision der Fahrzeuge lediglich 10 cm betragen habe, habe sich diese größere Breite auch unfallursächlich ausgewirkt und sei bei der Haftungsabwägung entsprechend zu berücksichtigen. Die höhere Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges sei dabei mit zwei Dritteln und demgegenüber die kleinere Betriebsgefahr des auf der Beklagtenseite beteiligten Pkw mit einem Drittel zu bewerten. Da die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung des Fahrzeuges auf der Beklagtenseite auch noch den Vollkaskoschaden ihres Versicherungsnehmers reguliert hatte, sei nicht nur die Klage der Klägerin abzuweisen, sondern sie müsse letztendlich nach der insoweit erfolgten Aufklärung des Sachverhaltes einen Betrag i.H.v. 600 Euro ihrerseits erstatten.
- C.
Kontext der Entscheidung Bei einem unaufklärbaren Unfallgeschehen denken viele Verkehrsjuristen an eine klassische Haftungsteilung und dies ist auch die zutreffende Lösung, wenn die Betriebsgefahren der Fahrzeuge jeweils gleich hoch angesetzt werden und keine weiteren Faktoren oder ein Verschulden zulasten einer Partei in die Haftungsabwägung einzustellen sind. Kann nicht zweifelsfrei aufgeklärt werden, welchen Fahrzeugführer von beiden Unfallbeteiligten ein Verschulden trifft, bleibt es bei einer entsprechenden Haftungsverteilung aufgrund der jeweiligen Betriebsgefahren und damit grundsätzlich bei einer Quote von 50% (OLG Frankfurt, Urt. v. 09.10.2012 - 22 U 109/11 - NJW-RR 2013, 664; LG Essen, Urt. v. 08.10.2015 - 3 O 509/14; LG Essen, Urt. v. 02.02.2015 - 3 O 396/14; LG Essen, Urt. v. 02.08.2016 - 2 O 178/14). Umstände, die eine höhere Betriebsgefahr rechtfertigen, muss dann jeweils der Unfallgegner erst einmal nachweisen. Vorliegend war jedoch zu beachten, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeuggespanns auf der Klägerseite einschließlich des gezogenen Wohnanhängers wegen der vorhandenen Breite in dem hier vorliegenden Fall einer Kollision im Begegnungsverkehr deutlich höher anzusetzen gewesen ist, zumal das Fahrzeug auch bei dem Durchfahren der recht engen Landstraße mit 10 cm zwingend auf der Gegenfahrbahn verblieben ist. Die Gefahr einer Kollision hat sich dadurch im Verhältnis zu einem normalen Pkw mit einer geringeren Breite signifikant erhöht.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Eine solche höhere Betriebsgefahr führt aber nicht per se zu einer deutlich größeren Mithaftung und darf auch nicht zwingend in jede Haftungsabwägung eingestellt werden. Wenn eine Seite nun der anderen eine höhere Betriebsgefahr entgegenhält, ist zu beachten, dass sich die insoweit angeführten Umstände auch unfallursächlich ausgewirkt haben müssen: Nach ständiger Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte dürfen nämlich im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsbeiträge indessen ausschließlich solche Umstände Berücksichtigung finden, die nach Grund und Gewicht erwiesen sind und sich auf den Unfall ausgewirkt, d.h. zur Entstehung des Schadens bzgl. der Haftung dem Grunde als haftungsbegründende oder der Höhe nach als haftungsausfüllende Kausalität beigetragen haben (BGH, Urt. v. 28.04.2015 - VI ZR 206/14; BGH, Urt. v. 21.11.2006 - VI ZR 115/05; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.06.2019 - I-1 U 148/18; OLG Saarbrücken, Urt. v. 03.08.2017 - 4 U 156/16 - ZfSch 2018, 137; OLG Saarbrücken, Urt. v. 28.04.2016 - 4 U 106/15; OLG Frankfurt, Urt. v. 15.04.2014 - 16 U 213/13 - Schaden-Praxis 2014, 406; OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.09.2009 - 1 U 74/09 - DAR 2009, 702; BGH, Urt. v. 10.01.1995 - VI ZR 247/94 - NZV 1995, 145 und BGH, Urt. v. 15.11.2006 - VIII ZR 166/06 - NZV 2007, 195; im Überblick Nugel, DAR 2022, 438). Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit haben dagegen außer Betracht zu bleiben (OLG Saarbrücken, Urt. v. 03.08.2017 - 4 U 156/16 - ZfSch 2018, 137). Dies war vorliegend allerdings der Fall, da bei einem deutlich kleineren Pkw anstelle des Wohnwagengespanns die Fahrzeuge gar nicht miteinander kollidiert wären – die Überdeckung betrug lediglich 10 cm, die Überbreite des klägerischen Fahrzeuges gegenüber einem Pkw aber mehr als 40 cm. Auf diese Art und Weise konnte eine Unfallursächlichkeit der „Überbreite“ anschaulich auch durch ein Sachverständigengutachten nachgewiesen werden und diese Umstände waren in die Haftungsabwägung einzustellen. Dann ist es aber ohne Weiteres gut vertretbar, die deutlich überwiegende Haftung auf der Klägerseite mit dem Wohnwagengespann zu sehen und mit zwei Dritteln zu veranschlagen. Kann beispielsweise durch eine Beweisaufnahme nicht frei von Zweifeln aufgeklärt werden, welcher der beiden Fahrzeugführer die entscheidende Unfallursache durch einen unachtsamen Fahrstreifenwechsel gesetzt hat, ist zwar ein unaufklärbares Unfallgeschehen für die Bildung der Haftungsquote zugrunde zu legen. Wenn dabei auf der einen Seite ein Lkw beteiligt ist, ergibt sich aus dem größeren Ausmaß und insbesondere dem größeren Lkw auch eine unfallursächlich zu berücksichtigende erhöhte Betriebsgefahr, die im Verhältnis zum Pkw mit 60% angemessen berücksichtigt wird, wenn sie sich unfallusächlich ausgewirkt hat (LG Köln, Urt. v. 07.09.2017 - 6 S 190/16). Die aufgrund des größeren Ausmaßes und des schweren Gewichts erhöhte Betriebsgefahr eines Lkw kann im Verhältnis zu einem Pkw auch gut vertretbar zu einer überwiegenden Haftung bei fehlendem Verschulden von 70% führen (OLG Köln, Urt. v. 30.01.2004 - 19 U 74/03 - VRS 108, 86). Eine Mithaftung wegen der Erhöhung der Betriebsgefahr ist wie gesagt jedoch nicht gerechtfertigt, wenn sich in der Kollision keine auf vergleichbaren Faktoren basierende besondere Gefahr des LKWs ausgewirkt hat (OLG Köln, Beschl. v. 19.03.2012 - 16 U 169/11).
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