juris PraxisReporte

Autoren:Dr. Cathrin Brünkmans, RA’in,
Matthias Flotmann, RA
Erscheinungsdatum:27.06.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 91 AktG, § 25a KredWG, § 1 StaRUG
Fundstelle:jurisPR-Compl 3/2025 Anm. 5
Herausgeber:Prof. Dr. Norbert Nolte, RA
Zitiervorschlag:Brünkmans/Flotmann, jurisPR-Compl 3/2025 Anm. 5 Zitiervorschlag

Neuer IDW ES 16 konkretisiert Pflichten gemäß § 1 StaRUG

I. Einleitung

Die deutsche Wirtschaft lahmt, selbst einst solide Unternehmen geraten ins Schleudern“ analysierte kürzlich die Tagesschau.1 Effektive Frühwarnsysteme sind für Unternehmensleitungen entscheidend, um wirtschaftliche Risiken rechtzeitig identifizieren, negative Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit minimieren und – nicht zuletzt – entsprechenden Haftungsrisiken der Geschäftsleitungen begegnen zu können. Angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Unwägbarkeiten wächst derzeit die Bedeutung von ordnungsgemäßen Krisenfrüherkennungsmaßnahmen bei Unternehmen.

II. Aktueller Stand und Hintergrund des IDW ES 16

Der Fachausschuss Sanierung und Insolvenz des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. („IDW“) hat zur Gestaltung der Krisenfrüherkennung und des Krisenmanagements von Unternehmen nach § 1 StaRUG den Entwurf eines neuen IDW-Standards verabschiedet („IDW ES 16“, Stand: 03.02.2025). Hiermit sollen geschäftsführenden Personen von haftungsbeschränkten Rechtsträgern – aber auch deren Beratern (Rechtsanwälten, Steuerberatern etc.) – Leitlinien zur Erfüllung der Anforderungen des § 1 StaRUG zur Verfügung gestellt werden.

§ 1 StaRUG normiert in Absatz 1 Satz 1 eine rechtsformübergreifende Pflicht der jeweiligen geschäftsführenden Personen eines haftungsbeschränkten Rechtsträgers zur fortlaufenden Überwachung von Entwicklungen, die den Fortbestand der juristischen Person gefährden können (sog. Krisenfrüherkennungspflicht), und in Satz 2 zum Ergreifen geeigneter Gegenmaßnahmen und zur Berichterstattung an entsprechende Überwachungsorgane (sog. Krisenmanagement). § 1 StaRUG legt dabei nur Mindestanforderungen für alle haftungsbeschränkten Rechtsformen fest; bereits bestehende (über § 1 StaRUG hinausgehende) allgemeine oder besondere gesetzliche Anforderungen (z.B. § 91 Abs. 2 AktG oder aber § 23 VAG und § 25a KWG für Versicherungsunternehmen bzw. Kreditinstitute) gelten nach § 1 Abs. 3 StaRUG auch weiterhin.

Das IDW veröffentlicht regelmäßig „Verlautbarungen“, die mittlerweile als etablierte Orientierungshilfe zur Beratung dienen. Die IDW-Standards stellen hierbei durch Zusammenfassung des Standes der Rechtsprechung, Literatur und Praxis eine Handreichung für eine „Best-Practice“ dar, die dem Berater hilft, die an ihn gestellten Anforderungen zur Beratung einzuhalten.

Stellungnahmen zum IDW ES 16 Entwurf konnten bis zum 12.05.2025 eingereicht werden, so dass nun in näherer Zukunft, voraussichtlich innerhalb der kommenden 12 bis 18 Monate, mit einer endgültigen Version des IDW S 16 Standards zu rechnen ist.

III. Wesentlicher Inhalt des IDW ES 16

1. Grundlagen

Zentraler Bestandteil eines jeden Krisenfrüherkennungssystems soll eine Unternehmensplanung sein, die die (Liquiditäts-)Entwicklung des Unternehmens abbildet (IDW ES 16 Rn. 29). Es gehöre zu den allgemeinen Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Geschäftsleiters – unabhängig von Rechtsform, Größenklasse und Krisenstadium –, eine solche Unternehmensplanung zu erstellen (IDW ES 16 Rn. 11).

Das Krisenfrüherkennungssystem müsse im Übrigen über die bloße Unternehmensplanung hinausgehen und einen geeigneten Prozess der Krisenfrüherkennung (KFE) als Teil des Planungsprozesses vorsehen. Würden fortbestandsgefährdende Entwicklungen erkannt, sei ein entsprechendes Krisenmanagement erforderlich.

2. Fortbestandsgefährdende Entwicklungen

Nach diesen einleitenden Erläuterungen geht der Entwurf des IDW ES 16 in den Rn. 18 bis 23 kurz auf die sog. fortbestandsgefährdenden Entwicklungen ein, welche mit einer Krisenfrüherkennung identifiziert und im nächsten Schritt mit dem Krisenmanagement bewältigt werden sollen.

Fortbestandsgefährdende Entwicklungen i.S.d. IDW ES 16 sind dabei solche, die ohne Gegenmaßnahmen zu wesentlichen nachteiligen Veränderungen der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft führen und zur Begründung oder zu einer erheblichen Erhöhung des Insolvenzrisikos führen können.

3. Ausgestaltung der Krisenfrüherkennung

Hauptteil des IDW ES 16 ist eine ausführliche Darstellung der verschiedenen Elemente der Krisenfrüherkennung.

Die konkrete Ausgestaltung der Krisenfrüherkennung und des sich erforderlichenfalls anschließenden Krisenmanagements ist dabei u.a. von der Größe, Branche, Struktur und auch von der Rechtsform des Unternehmens abhängig (vgl. IDW ES 16 Rn. 27). Unabhängig von Rechtsform und Unternehmensgröße sei jedoch für ein frühzeitiges Erkennen fortbestandsgefährdender Risiken eine Unternehmensplanung unerlässlich, um i.S.d. § 1 StaRUG künftig negative Ereignisse frühzeitig erkennen, mit anderen Chancen und Risiken aggregieren und bewerten zu können.

Die Anforderungen an eine solche Unternehmensplanung sind laut IDW abhängig von der aktuellen wirtschaftlichen Situation des Unternehmens. Wenn in der Vergangenheit nachhaltige Gewinne erzielt wurden, leicht auf finanzielle Mittel zurückgegriffen werden konnte und keine bilanzielle Überschuldung vorliegt oder droht (sog. „Schönwetterkriterien“), sind ungeachtet weiter gehender gesetzlicher Pflichten (vgl. § 1 Abs. 3 StaRUG) i.d.R. keine hohen Anforderungen an die Unternehmensplanung zu stellen (vgl. IDW ES 16 Rn. 12).

Die der Planung zugrunde gelegten Annahmen müssten auf Basis einer ex-ante-Betrachtung des gesetzlichen Vertreters nachvollziehbar, konsistent und frei von Widersprüchen sein (vgl. IDW ES 16 Rn. 30). Den Geschäftsleitern wird bei ihren Entscheidungen ein gewisser Ermessensspielraum zugestanden. Mit sich verschärfender Krise nehme dieser Ermessensspielraum jedoch ab und die Geschäftsleiter könnten Entscheidungen nicht mehr in demselben Umfang treffen wie außerhalb der Krise (vgl. IDW ES 16 Rn. 32). Aus Nachweis- und Exkulpationsgründen sei eine Dokumentation der Krisenfrüherkennung – aber auch des Krisenmanagements (dazu sogleich) – zweckmäßig (vgl. IDW ES 16 Rn. 17, 31 f., 39, 47).

Zum Planungshorizont enthält der IDW ES 16 drei Vorgaben: Die Unternehmensplanung müsse danach mindestens auf zwölf Monate ausgerichtet sein. Zum frühzeitigen Erkennen einer Krise und zum rechtzeitigen Ergreifen geeigneter Maßnahmen zur Abwendung der Krise könne laut IDW jedoch auch ein Zeitraum von 24 Monaten zweckmäßig sein. In Abhängigkeit vom Geschäftsmodell und ggf. von langlaufenden Projekten könne der Planungshorizont ausweislich des Instituts sogar zwei Jahre überschreiten (vgl. IDW ES 16 Rn. 34).

4. Prozess der Krisenfrüherkennung

Unter den Rn. 35 bis 54 des IDW ES 16 wird noch näher auf den Prozess der Krisenfrüherkennung, insbesondere die Risikokultur, Organisation, Risikoidentifikation, -bewertung, -steuerung, -kommunikation und -überwachung und Verbesserung eingegangen.

5. Krisenmanagement

An diese Ausführungen schließt sich der Abschnitt des Krisenmanagements an. Hier werden Kernanforderungen zur Wiederherstellung eines tragfähigen Geschäftsmodells kurz erläutert, und im Weiteren wird auf den bereits bestehenden IDW S 6 (Standard zu Anforderungen an Sanierungskonzepte) verwiesen. Ein Teil des Krisenmanagements ist auch die Prüfung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen, welche ausführlich ebenfalls bereits im IDW S 11 (Standard zur Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen) dargestellt sind.

6. Skalierung der Anforderungen des IDW-Standards

Abschließend erläutert der IDW ES 16 die unterschiedlichen Maßstäbe, sowohl hinsichtlich der Krisenfrüherkennung als auch hinsichtlich des Krisenmanagements, die abhängig von der Größe des Unternehmens ein Mehr oder Weniger an Planung und Kontrollinstrumenten erfordern. Für das Erfordernis zur Einrichtung einer geeigneten Krisenfrüherkennung dem Grunde nach ergäben sich für kleinere, weniger komplexe Unternehmen keine Ausnahmen (IDW ES 16 Rn. 61). Die gesetzlichen Vertreter von kleineren, weniger komplexen Unternehmen sind damit gleichfalls verpflichtet, die für die Geschäftstätigkeit des Unternehmens relevanten Entwicklungen laufend zu überwachen, um fortbestandsgefährdende Entwicklungen erkennen zu können. Lediglich hinsichtlich der Ausgestaltung entsprechender Risikoüberwachungsgebote sollen mitunter Abstriche in Betracht kommen.

IV. Auswirkungen für die Praxis

Beim IDW ES 16 handelt es sich derzeit noch um eine Entwurfsfassung. Inhaltlich wesentliche Änderungen sind – wie auch bei vielen vorherigen Entwurfsfassungen des IDW – jedoch nicht zu erwarten. Das bedeutet, dass die Grundaussagen dieses Standards bereits jetzt als belastbar angesehen werden können.

Leider finden sich bisher im IDW ES 16 nur wenige konkrete Aspekte zum Umfang und der Ausgestaltung der Unternehmensplanung, was in den Stellungnahmen zum IDW ES 16 auch kritisiert wird.2 Es mangelt insbesondere an genaueren Einordnungen und Kennziffern, die die Basis für die Früherkennung bilden können.

Bereits jetzt zeichnet sich jedoch deutlich ab, dass das Erfordernis einer Unternehmensplanung – und zwar grundsätzlich losgelöst von Rechtsform und Unternehmensgröße – weiter an Bedeutung gewinnen wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach einer richtlinienkonformen Auslegung des § 1 StaRUG auch zweifelhaft bleiben dürfte, ob sich der Geschäftsführer etwa einer GmbH durch einen anderslautenden Gesellschafterbeschluss von dieser gläubigerschützenden Verpflichtung befreien kann.

Angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Unwägbarkeiten sollten die Unternehmensleitungen zur Vermeidung eigener Haftungsrisiken ihre Krisenfrüherkennungs- und Krisenmanagementsysteme kritisch auf Einhaltung der gesetzlichen (Mindest-)Vorgaben hin überprüfen. Dabei werden die Empfehlungen des (künftigen) IDW S 16 zu berücksichtigen sein.


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