juris PraxisReporte

Autor:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Erscheinungsdatum:07.05.2025
Quelle:juris Logo
Norm:§ 10 ArbZG
Fundstelle:jurisPR-ArbR 18/2025 Anm. 8
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Düwell, jurisPR-ArbR 18/2025 Anm. 8 Zitiervorschlag

Das Arbeitsrecht im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 05.05.2025 für die 21. Wahlperiode

I. Zustandekommen des Koalitionsvertrages

Am 13.03.2025 trafen sich die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD mit den Leiterinnen und Leitern der Arbeitsgruppen zu einer Auftaktsitzung im Konrad-Adenauer-Haus. Im Anschluss daran begann die Arbeit in den Facharbeitsgruppen. Danach tagten bis zum 24.03.2025 die Fachgruppen zu den einzelnen Themenbereichen. Daran schloss sich eine dreitägige Redaktionsphase an, in der die Ergebnisse zusammengefasst wurden. Zum Schluss fand eine Clearingphase statt, in der letzte Uneinigkeiten und unklare Formulierungen ausgeräumt wurden, so dass Anfang April die Schlussredaktion folgen konnte. Das geschah am 09.04.2025. Das fertige, paraphierte Dokument wurde darauf den drei Parteien zur Zustimmung (sog. Parteiinterne Abstimmungsphase) zugeleitet. Nach Zustimmung der Parteigremien von CSU und CDU fand bei der SPD eine Mitgliederbefragung statt. Deren Ergebnis wurde am 30.04.2025 bekannt gegeben: 84,6% Ja-Stimmen und 15,4% Nein-Stimmen.1 Am Montag, 05.05.2025 um 12:00 Uhr wurde im Gasometer Schöneberg der Koalitionsvertrag unterzeichnet. Zuvor gab der SPD Co-Vorsitzende Lars Klingbeil seinen Personalvorschlag für die Besetzung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mit Bärbel Bas bekannt.

II. Zielsetzung

Mit der Überschrift „Verantwortung für Deutschland“ bringen die Koalitionäre ihre Zielsetzung zum Ausdruck. In der Präambel wird dazu näher in den Zeilen 23 bis 27 ausgeführt:

„Wir verstehen das Wahlergebnis als Auftrag für eine umfassende Erneuerung unseres Landes, die auf Stärken baut und Schwächen bereinigt, die neue Sicherheit schafft, Stabilität bietet und Zusammenhalt stärkt. Uns eint dabei der Wille für eine gute Zukunft Deutschlands. Die Geschichte der Bundesrepublik zeigt, dass unser Land an Herausforderungen wächst. Die freiheitliche Demokratie, die Soziale Marktwirtschaft und die Solidarität in der Gesellschaft waren, sind und bleiben die Eckpfeiler für den Erfolg unseres Landes.“

Mit 146 Seiten ist der Koalitionsvertrag dieser Großen Koalition sogar noch etwas länger geraten als der der Ampelkoalition. Er enthält eine Reihe von arbeitsrechtlich relevanten Vorhaben, über die im Folgenden ein Überblick gegeben werden soll.

III. Überblick über arbeitsrechtlich relevante Vorhaben

1. Mindestlohn 15 Euro ab 2026 (Rn. 546 ff.)

„Wir stehen zum gesetzlichen Mindestlohn. Die Entwicklung des Mindestlohns muss einen Beitrag zu stärkerer Kaufkraft und einer stabilen Binnennachfrage in Deutschland leisten. An einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission halten wir fest. Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns wird sich die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“

Bereits vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags ist ein heftiger Auslegungsstreit entbrannt, ob auch ohne Empfehlung der Kommission eine Heraufsetzung des Mindestlohns erfolgen kann. Im Übrigen ist die Fixierung auf den Mindestlohn Ausdruck einer Schwäche der Gewerkschaften und der Tarifpolitik. Kocher weist zu Recht darauf hin, dass Mindestlohn nur deshalb so wichtig geworden ist, weil kollektive Organisationen und mit ihr die Tarifautonomie es mittlerweile nicht mehr annähernd schaffen, angemessene Mindestarbeitsbedingungen auf breiter Ebene zu gewährleisten.2 Nachdem 2009 der damalige Bundesarbeitsminister Olaf Scholz ohne großen Erfolg versucht hatte, die Tarifautonomie ohne Zuhilfenahme eines gesetzlichen Mindestlohns durch eine Neufassung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedingungengesetzes zu stärken, führte 2014 Bundesministerin Andrea Nahles das Mindestlohngesetz ein.

2. Bundestariftreuegesetz ab Vergaben von 50.000 Euro (Rn. 552 ff.)

Als eine neue Initiative zur Stärkung der Tarifautonomie kann das folgende Vorhaben angesehen werden:

„Unser Ziel ist eine höhere Tarifbindung. Tariflöhne müssen wieder die Regel werden und dürfen nicht die Ausnahme bleiben. Deswegen werden wir ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg bringen. Das Bundestariftreuegesetz gilt für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 Euro und für Startups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000 Euro. Bürokratie, Nachweispflichten und Kontrollen werden wir auf ein absolutes Minimum begrenzen.“

Diese Initiative ist dringend geboten, denn die Tarifbindung ist von 67% (1996) auf 49% der Beschäftigten in Deutschland im Jahre 2024 gesunken – wobei sich der Abwärtstrend in den letzten Jahren stabilisiert hat.3 Das Tariftreuegesetz war schon ein Vorhaben, das die Ampelkoalition vereinbart, aber nicht in die gesetzgebenden Körperschaften gebracht hat. Es war nur zu einem Referentenentwurf gekommen, der in der Frühkoordination wegen des Widerstands des liberalen Finanzministers hängenblieb. Im Unterschied zum Referentenentwurf des BMAS sieht jetzt der neue Koalitionsvertrag eine Einschränkung des Geltungsbereichs vor, um Kleinunternehmen und Unternehmensgründungen auszunehmen.

3. Wochenarbeitszeit statt Tageshöchstarbeitszeit (Rn. 557 ff.)

Einen wichtigen Impuls hin zu mehr Flexibilität stellt die angekündigte Möglichkeit einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit dar:

„Die Arbeitswelt ist im Wandel. Beschäftigte und Unternehmen wünschen sich mehr Flexibilität. Deshalb wollen wir im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen – auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zur konkreten Ausgestaltung werden wir einen Dialog mit den Sozialpartnern durchführen.“

Ergänzend wird klargestellt:

„Dabei werden wir die hohen Standards im Arbeitsschutz wahren und die geltenden Ruhezeitregelungen beibehalten. Kein Beschäftigter darf gegen seinen Willen zu höherer Arbeitszeit gezwungen werden. Deshalb werden wir Missbrauch ausschließen.“

Der Koalitionsvertrag spart aus, ob die Nutzung einer flexiblen Höchstarbeitszeit nur durch oder zumindest auf Grundlage eines Tarifvertrags möglich sein wird. Eine entsprechende Forderung der SPD hat es jedenfalls nicht in den Koalitionsvertrag geschafft.4

4. Elektronische Arbeitszeiterfassung (Rn. 561 ff.)

Die gesetzliche Regelung der Arbeitszeiterfassung steht in Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie seit Langem aus, obwohl das BAG5 schon vor vier Jahren klargestellt hat, dass das Unionsrecht anzuwenden ist. Der im Jahr 2022 vom BMAS vorgelegte Referentenentwurf war in der Frühkoordination durch den liberalen Finanzminister blockiert worden. Die neue Große Koalition hat sich nun im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die unionsrechtlich begründete Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten gesetzlich zu regeln:

„Wir werden die Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten unbürokratisch regeln und dabei für kleine und mittlere Unternehmen angemessene Übergangsregeln vorsehen. Die Vertrauensarbeitszeit bleibt ohne Zeiterfassung im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglich.“

Da der Referentenentwurf 2022 bereits eine weitgehende Ausnahme für die Vertrauensarbeit vorsah, kann erwartet werden, dass alsbald das BMAS die Vorarbeit für einen neuen Referentenentwurf nutzen kann.

5. Sonn- und Feiertagsbeschäftigung (Rn. 565)

Der in § 10 ArbZG für Sonn- und Feiertagsbeschäftigung enthaltene Branchenausnahmekatalog wird ergänzt:

„… werden wir um das Bäckereihandwerk erweitern.“

Im Interesse der Verbraucher und zur Verbesserung der Marktsituation der handwerklich tätigen Bäckereien ist dies zu begrüßen.

6. Steuerfreie Zuschläge für Mehrarbeit (Rn. 569 f.)

Neu ist der Gedanke, dem Fachkräftemangel durch steuerliche Anreize für Mehrarbeit zu begegnen:

„Damit sich Mehrarbeit auszahlt, werden Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, steuerfrei gestellt. Als Vollzeitarbeit soll dabei für tarifliche Regelungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden, für nicht tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten von 40 Stunden gelten. Wir werden bei der konkreten Ausgestaltung eine praxisnahe Lösung in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern entwickeln. Wir werden einen neuen steuerlichen Anreiz zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten schaffen. Wenn Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, werden wir diese Prämie steuerlich begünstigen. Missbrauch werden wir ausschließen.“

Die beabsichtigte Regelung, nur für Vollzeitarbeit steuerliche Anreize zu schaffen, irritiert im Hinblick auf das Urteil des BAG vom 05.12.2024 (8 AZR 370/20). In diesem Urteil ist eine tarifvertragliche Regelung, die unabhängig von der individuellen Arbeitszeit für Überstundenzuschläge das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten voraussetzt, als Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter angesehen worden. Deshalb bleibt abzuwarten, welcher Grund für eine sachliche Differenzierung bei der Umsetzung des Koalitionsvertrags für die Steuerbegünstigung vorgebracht wird.

7. Digitales Zutrittsrecht für Gewerkschaften (Rn. 582 ff.)

„Wir ergänzen das Zugangsrecht der Gewerkschaften in die Betriebe um einen digitalen Zugang, der ihren analogen Rechten entspricht.“

8. Online-Betriebsratswahlen (Rn. 581 f.)

„Wir ermöglichen Online- Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen zusätzlich als gleichwertige Alternativen zu Präsenzformaten. Zusätzlich soll die Option, online zu wählen, im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden“.

9. Mitbestimmung und KI (Rn. 579)

„Für die steigenden Herausforderungen der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz in der Arbeitswelt wollen wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen, damit diese sozialpartnerschaftlich gelöst werden. Wir werden die Mitbestimmung weiterentwickeln.“

10. KI und Qualifizierung der Beschäftigten (Rn. 583)

„Einsatz von KI im Unternehmen erfordert sowohl die Qualifizierung der Beschäftigten als auch die faire Regelung des Umgangs mit den Daten im Betrieb.“

11. Steuerliche Anreize für Gewerkschaftsmitgliedschaft (Rn. 585)

Das Ziel der Förderung der Tarifbindung findet Ausdruck in der Ankündigung:

„Wir machen die Mitgliedschaft in Gewerkschaften durch steuerliche Anreize für Mitglieder attraktiver.“


Fußnoten


1)

www.spd.de/regierungsbildung , abgerufen am 05.05.2025.

2)

Kocher in: Verfassungsblog 02.05.2025 „Gemeinsam stark - Vom Wert der Tarifautonomie“.

3)

Kocher in: Verfassungsblog 02.05.2025 „Gemeinsam stark - Vom Wert der Tarifautonomie“

4)

Freshfields, Arbeitsrechtliche Aspekte im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot, abgerufen am 05.05.2025.

5)

BAG, Beschl. v. 13.09.2022 - 1 ABR 22/21.


Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!