Headset-System als technische ÜberwachungseinrichtungLeitsatz Ein Headset-System, das es den Vorgesetzten ermöglicht, die Kommunikation unter Arbeitnehmern mitzuhören, ist eine technische Einrichtung, die zur Überwachung der Arbeitnehmer i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bestimmt ist. Seine Einführung und Nutzung unterliegt auch dann der betrieblichen Mitbestimmung, wenn die Gespräche nicht aufgezeichnet oder gespeichert werden. - A.
Problemstellung Die Digitalisierung der betrieblichen Arbeitswelt gibt den Arbeitsgerichten regelmäßig Gelegenheit, die Reichweite des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu verdeutlichen und zu entwickeln. Der hier besprochene Beschluss des Ersten Senats vom 16.07.2024 befasst sich mit Headset-Systemen, die inzwischen vielfältig eingesetzt werden, und bejaht letztlich die betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen eines Einzelhandelskonzerns P, dessen Obergesellschaft ihren Sitz in Dublin in der Republik Irland hat. Zum Unternehmen gehören bundesweit zahlreiche Betriebe, darunter eine Filiale in Dresden, in der mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Antragsteller ist der dort gebildete neunköpfige Betriebsrat. Die Arbeitgeberin schloss 2018 mit dem am Verfahren beteiligten Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung von IKT-Systemen sowie zum Datenschutz und zur Informationssicherheit. Die Vereinbarung sieht vor, dass mitbestimmungspflichtige Systeme in Form einer Systemabsprache in einen als Anlage zur Betriebsvereinbarung geschaffenen Rahmen integriert werden. Im Jahr 2021 vereinbarte sie mit dem Gesamtbetriebsrat eine Systemabsprache zum Einsatz dieser Geräte. Bei der Arbeitgeberin sind die einzelnen Headset-Geräte keinem bestimmten Arbeitnehmer zugeordnet. Sie werden vielmehr täglich nach dem Zufallsprinzip aus dem Gerätepool entnommen und sind nach Arbeitsende dorthin zurückzulegen. Auch eine Aufzeichnung von Sprachsignalen oder Geräuschen ist technisch nicht möglich. In der Systemabsprache des GBR sind keine betrieblich relevanten Regelungen getroffen worden. Der Betriebsrat will jedoch solche Regelungen treffen und beruft sich dazu auf sein Mitbestimmungsrecht. Die Vorinstanzen haben die Ansicht vertreten, dass diese konkreten Headset-Systeme der betrieblichen Mitbestimmung nicht unterfallen, weil persönliche Daten nicht aufgezeichnet und gespeichert werden. Der Betriebsrat ist anderer Ansicht. Er trägt dazu vor, dass die jeweiligen Vorgesetzten die Gespräche der Beschäftigten hören können. Angesichts der relativ geringen Größe des Betriebs sei es den Vorgesetzten jedoch möglich, die Beschäftigten zu identifizieren. Außerdem sei es für die Beschäftigten eine Beeinträchtigung ihrer Persönlichkeitsrechte, da sie damit rechnen müssten, dass Vorgesetzte ihre Gespräche untereinander mithören. Das BAG hat in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen ein Mitbestimmungsrecht des örtlichen Betriebsrats verneint. Der Senat ordnet diesen Sachverhalt in seine bisherige Rechtsprechung ein und diskutiert zunächst, ob hier ein Überwachungsdruck auf eine Arbeitnehmergruppe ausgeübt wird, der auf die einzelnen Mitglieder durchschlägt (dazu bereits BAG, Beschl. v. 26.07.1994 - 1 ABR 6/94). Diese erste Variante des Überwachungsdrucks wird vom Senat abgelehnt, da die technischen Daten nicht individualisiert erhoben werden. Dies ist anders als bei den Beschäftigten, die in einem Gruppenakkord arbeiten. Das Headset-System ist aber nach Ansicht des Senats zur Überwachung geeignet und bestimmt, weil die in der Filiale tätigen Führungskräfte die Kommunikation der anderen Arbeitnehmer, die ebenfalls ein Headset verwenden, jederzeit mithören können. Die Vorgesetzten vor Ort sind dadurch immer in der Lage, das Verhalten sämtlicher in einer Schicht tätigen Arbeitnehmer, die ein Headset verwenden, zur Kenntnis zu nehmen und damit zu kontrollieren. Das hat zur Folge, dass diese Arbeitnehmer einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt sind. Dieser Kategorie ist bereits in der Facebook-Entscheidung (BAG, Beschl. v. 13.12.2016 - 1 ABR 7/15) herangezogen worden. Der einzelne Arbeitnehmer kann sich dem auch durch weisungswidriges Verhalten nicht entziehen. In jedem Fall lassen sich Rückschlüsse auf sein Verhalten während der Arbeit ziehen. Die Einbindung in eine solche nicht beeinflussbare Überwachungstechnik führe zu einer erhöhten Abhängigkeit der betroffenen Arbeitnehmer und beeinträchtige damit die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Gleichwohl wurde der Antrag des Betriebsrats abgewiesen, da nach Ansicht des Senats das Mitbestimmungsrecht nicht dem örtlichen Betriebsrat, sondern dem Gesamtbetriebsrat zustehe. Dieser ist nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur zuständig bei der Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Dazu wird verlangt, dass objektiv ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung besteht (BAG, Beschl. v. 08.03.2022 - 1 ABR 20/21). Dazu hat der Senat darauf hingewiesen, dass das Headset-System nicht nur aus der Hardware, sondern auch aus der damit verbundenen Software besteht. Diese gehöre untrennbar zu dem Portal, das vom Anbieter zur Verfügung gestellt wird. Damit handle es sich um eine einheitliche technische Einrichtung, die unternehmenseinheitlich gestaltet werde, so dass hier das Mitbestimmungsrecht dem GBR zustehe. Es sei auch nicht vereinbar mit dem Zweck des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, dass das eine Gremium sich mit der Hardware und das andere Gremium mit der Software befasse. Daher sei es auch nicht von Bedeutung, dass hier die Überwachung, die vor allem im Mithören durch die Vorgesetzten bestehe, nur auf der betrieblichen Ebene aktuell werde.
- C.
Kontext der Entscheidung Mit diesem Beschluss hat der Senat seine Rechtsprechung zu § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG weiter verdeutlicht. Bereits in der parlamentarischen Begründung dieses Mitbestimmungsrechts ist damals im Regierungsentwurf hervorgehoben worden, dass die Überwachung durch technische Einrichtungen „stark in den persönlichen Bereich der Arbeitnehmer eingreift“ ( BT-Drs. VI/1786, S. 49). Daher ist inzwischen in der Judikatur und Literatur herausgearbeitet worden, dass § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG als kollektivrechtliche Ergänzung und Verstärkung des individualrechtlichen Persönlichkeitsschutzes zu verstehen ist (Kohte in: HaKo-BetrVG, 6. Aufl. 2022, § 87 Rn. 66). Folgerichtig orientiert sich die Rechtsprechung seit einiger Zeit bereits nicht allein an den technischen Modalitäten der Überwachung, sondern prüft vor allem, ob sich durch die Installation im Betrieb dieser Einrichtung ein Überwachungsdruck auf die Beschäftigten ergibt. Daher ist, wie auch dieser Beschluss zeigt, regelmäßig das Zusammenspiel zwischen Hardware und Software zu analysieren. Ebenso sind die möglichen Regelungen nicht notwendig technischer Art, sondern können sich auch auf die Software und die Softwareergonomie beziehen, aber auch auf organisatorische Regelungen beim Betrieb dieser Einrichtung. Die Gestaltung der Softwareergonomie, die durch Anhang 6.5. zur ArbStättV verlangt (Faber/Feldhoff in: HK-ArbSchR, 3. Aufl. 2023, ArbStättV Rn. 173 ff.) und durch die ASR A 6 zuletzt konkretisiert wird (Voigt, ARP 2025, 34, 38), kann auch die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG auslösen, doch spielte dieser Aspekt im vorliegenden Verfahren keine Rolle. Sorgfältig hat daher der Senat herausgearbeitet, dass bereits die Möglichkeit des Mithörens der Kommunikation der Beschäftigten durch Vorgesetzte einen solchen Überwachungsdruck erzeugen kann, und hat dazu aus den Erfahrungen der Callcenter auf das Mithören durch Vorgesetzte („Silent Monitoring“, dazu Fitting, BetrVG, 32. Aufl. 2024, § 87 Rn. 253) hingewiesen. Vergleichbar ist auch das „Silent Controlling“ durch GPS-Ortung von Dienstfahrzeugen, die ebenfalls von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG erfasst wird (Bissels, jurisPR-ArbR 18/2009 Anm. 4). Zutreffend hat der Senat in Fortsetzung seiner bisherigen Judikatur auch hervorgehoben, dass es nicht auf die möglichen Absichten des Arbeitgebers und seine subjektiven Zielsetzungen ankommt. Bereits der objektive Überwachungsdruck ist hier ausreichend. Nicht unproblematisch ist hier die Zuordnung des Mitbestimmungsrechts zum GBR nach § 50 BetrVG, denn mögliche organisatorische Regelungen können hier auch auf betrieblicher Ebene getroffen werden. Für die Betriebsparteien ist es daher wichtig, dass auch bei der unternehmenseinheitlichen Nutzung des Mitbestimmungsrechts Öffnungsklauseln für betriebliche Regelungen getroffen werden, die eine betriebspraktische Nutzung ermöglichen. Interessant ist in diesem Sachverhalt die Konzernstruktur, denn die Konzernobergesellschaft ist in Irland ansässig. Dies kann sowohl steuerrechtliche Gründe als Ursache haben, aber auch Möglichkeiten zur Abschwächung des Datenschutzrechts beinhalten, weil die Datenschutzaufsicht in Irland bisher weniger engagiert war als in einigen anderen Mitgliedstaaten. Gleichwohl ändert diese Verlagerung nichts an der umfassenden Geltung der DSGVO, die auch hier zu beachten ist. Der Sitz der Obergesellschaft in Irland weist darauf hin, dass hier auch eine Beteiligung des Europäischen Betriebsrats möglich ist, auf die im Sachverhalt nicht näher eingegangen worden ist. Dies ist plausibel, denn dem EBR kommt – anders als bei Geltung des § 50 BetrVG – keine Verdrängungsmöglichkeit der betrieblichen Mitbestimmung zu.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Arbeitsbedingungen werden zunehmend digitalisiert, so dass eine rechtzeitige Beteiligung der Interessenvertretungen geboten ist. Dies ist bereits im Rahmen der Planung durch § 90 BetrVG vorgeschrieben, so dass sowohl die Beschaffung als auch die Erneuerung von Hardware und Software mit den Betriebsräten zu erörtern ist (Kohte, NZA 2015, 1417, 1419). Bereits in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 und 7 BetrVG, die daher schon im Planungsstadium zu beachten ist (Kohte in: Festschrift Klebe, 2018, S. 237 ff.). Nicht selten wird diese Planung zentral beginnen, so dass eine Beteiligung des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats zu erfolgen hat. Andererseits wirken sich die digitalen Prozesse auch, wie der vorliegende Sachverhalt zeigt, in den einzelnen Betrieben intensiv aus, so dass es sachgerecht ist, in die zentrale Vereinbarung Öffnungsklauseln aufzunehmen. Dies ist besonders wichtig, um von Anfang an die im Planungsstadium erforderliche vorausschauende Gefährdungsbeurteilung, die z.B. nach § 3 Abs. 3 BetrSichV noch vor der Beschaffung vorzunehmen ist, effektiv zu regeln.
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